… was Ihr da hört?
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In Gelb dargestellt erscheint der Rock ’n‘ Roll dieser und vergangener Tage. Die Grafik entstand als schematische Darstellung der wichtigsten Rock ’n‘ Roll Spielarten nach Lorenz. Niemand hat offensichtlich den Rock ’n‘ Roll für sich gepachtet. Rockmusik ist hier nicht zu finden. Rock kann auch Rock ’n‘ Roll oder Elemente davon enthalten, ist aber bei Weitem nicht begriffsidentisch. Viele Rocker reden vom Rock ’n‘ Roll und meinen gewiss musikalisch keinen Rock ’n‘ Roll. Die Grafik zeigt die manchmal verwirrende, immer aber auch bereichernde Vielfalt von Rock ’n‘ Roll und dankenswerterweise benennt sie zugleich typische Interpreten der jeweils gemeinten Spielart.
Es fehlen viele der Weiterentwicklungen und deren maßgebliche Interpreten. Individualität und spezifischer Sound gehören zur Band, machen sie identifizierbar. Kassischen Rock ’n‘ Roll spielten / sangen / interpretierten nicht nur Bill Haley, Elvis Presley oder Connie Francis. Klassischen Rock ’n‘ Roll spielen und erfinden auch Bands zu ihrer jeweiligen Zeit neu. Shakin‘ Stevens, The Lennerockers, The Playtones oder TT Grace schufen und (so es aktuelle Bands sind) schaffen ständig an der Erweiterung und Vervollkommnung des Rock ’n‘ Roll-Universums. Natürlich nicht nur die Genannten, sondern mehr noch die Vielfalt der hier Ungenannten schreiben Musik mit 4/4-Takt, dem typischen Beat, der Melodieführung … und stehen mehr für Rock ’n‘ Roll als die Tolle oder die Jeans.
… was Ihr da tanzt?
Gegenfrage: Wem soll man glauben? Rock ’n‘ Roll ist lebendig. Der Rock ’n‘ Roll Club Schaumburg wurde 1978 just in der Zeit von Menschen gegründet, die schon Jahrzehnte Musik- und Tanzerfahrung einbringen konnten, als man in Italien den akrobatischen Turnier-Rock ’n‘ Roll „erfand“ und Elemente des Lindy Hop mit einem abgewandelten Boogie-Schritt zum Wettkampf-Rock ’n‘ Roll kürte.
Wer legt fest, wie ein Rock ’n‘ Roll „richtig“ getanzt wird? Für Wettkämpfe mögen gesonderte Regeln akzeptabel sein. Ein schneller Blick in Tanzliteratur, exemplarisch gesammelt von den frühen 60ern bis in die 80er ergab: Es gibt ihn nicht „Den Grundschritt“. Ein Blick in das Mutterland des Rock ’n‘ Roll zeigte zu jeder Zeit die Vielfalt unterschiedlicher Grundschritte.
50er und Anfang der 60er
Ende der 70er
Anfang der 80er
Mitte der 90er
Auch der Nichtexperte findet schnell die Unterschiede der jeweilig offiziellen Grundschritte. Wer den Schwung, die Unbändigkeit und den Optimismus der Musik, die Rebellion und die Unangepasstheit der 50er in der heutigen Zeit ausleben mag, versucht dies möglicherweise weniger zwischen striktem Wettkampfreglement und der dazu meist gespielten Musik. Auch modische Aspekte könnten eine Rolle spielen, aber weder damals noch heute sehen alle Rock ’n‘ Roller gleich aus. War in den 50ern ein Anzug bzw. ein Kleid mit Petti durchaus Stil des Highschool Rock ’n‘ Roll, so werden andere Menschen aus eigener Erinnerung und mit den Belegen des eigenen Kleiderschranks einwandfrei vermitteln, dass es da noch viel mehr gab. Die bleistiftenge Passform sei hier exemplarisch erwähnt. Die Kleidung beeinflusst die Möglichkeiten und Potenziale des Tanzes. Das Tanzelement der Figur vom Titel des am Ende abgebildeten Buches ist im Petticoatkleid schlicht untanzbar. Musikfilme als Belege (nicht zahlreiche neuerschaffene Videos, bei denen Musik und Tanz aus unterschiedlichen Jahrtausenden stammen) der Originaltänze zeigen ein anderes, jedoch auch nicht immer repräsentatives oder authentisches Bild des damals getanzten Rock ’n‘ Roll. Fred Astaire gilt auch nicht als archetypischer Repräsentat für den Orignalswingtanz, auch und gerade weil sein tänzerisches Geschick und sein Einfallsreichtum brillieren.
Vierergrundschritt, Sechsergrundschritt, Achtergrundschritt, Neunergrundschritt … darf es auch etwas mehr sein? Ein Kick vielleicht hier oder dort? Helen Ann Aust schreibt in ihrem Buch „Tanzen Schritt für Schritt“ auf Seite 223 dazu „Für den Hausgebrauch bleiben wir besser mit beiden Beinen auf dem Boden. Auch der Rock ’n‘ Roll steht im Vierviertel-Takt. Wie bereits erwähnt, können Sie zu dieser Musik sämtliche Jive- und Boogie-Schritte tanzen.“ Anschließend erwähnt sie den „richtigen“ Rock ’n‘ Roll, der im Double Time ergänzt um Kicks getanzt werde. Schon damals also die müßige Auseinandersetzung um „richtig“ und „falsch“. So wenig monolithisch wie die Musik präsentieren sich auch Tanz und Mode im „Original“.
So wenig, wie Unterschiede in Region und Spielart des Rock ’n‘ Roll der 50er in den USA eine eineindeutige Bestimmung des einzigrichtigen Schrittes oder der einzigrichtigen Musik und Mode zulassen, so klar sind andererseits die typischen und wiedererkennbaren Elemente. Der Rock ’n‘ Roll Club Schaumburg lebt eine Tradition und „Leben“ heißt „Entwickeln“. Die Art, wie in Schaumburg Rock ’n‘ Roll getanzt wird, ist nicht einheitlich und bestimmt nicht einmalig, wie zahlreiche Kommentare oft älterer Zuschauender zu künden wissen.